Als mein Sohn begann in die Schule zu gehen, fast 30 Jahre nach meiner eigenen Schulzeit, wurde ich plötzlich mit massivem Notenstress und der damit verbundenen Angst konfrontiert. Mein eigenes Schultrauma ploppte brutal an die Oberfläche und ich erlebte das als so schmerzhaft, dass es mich förmlich zwang, mir meine Gedanken über Noten und die Lehrer meines Sohnes anzuschauen. Durch die Fragen von The Work konnte ich alte Glaubensmuster lösen, mich von meinem Notenstress befreien und ich begann Frieden mit seinen Lehrern zu finden. Hiervon erzähle ich im ersten und zweiten Teil der Geschichte.
Das war jedoch erst der Anfang, denn durch die Beschäftigung mit diesem Schulthema wurde mir letztendlich bewusst, dass noch ein weiterer und sehr wichtiger Schritt fällig war: Die Auseinandersetzung mit meinen eigenen Lehrern. Über sie hatte ich noch jede Menge bewertende und verurteilende Gedanken, die sich alles andere als friedlich anfühlten und ich stellte immer wieder erstaunt fest, wie sie weiterhin mein Leben beeinflussten. Diesen Teil der Geschichte widme ich also den Lehrern meiner Schulzeit.
Zwei Gedanken, die meine Schulzeit prägten, waren: „Es interessiert die Lehrer nicht, wie es mir geht.“
und „Sie fordern nur von mir.“
Ich kann nicht sagen, dass ich es bewusst dachte, aber wenn ich mich in diese Zeit zurückversetze und mich in das Mädchen hineinfühle, das ich damals war, spüre ich es in jeder Körperzelle. Ich trug diese Gedanken immer mit mir.
Als ich diese beiden Gedanken mit den Fragen von The Work untersuchte, fragte ich nicht die erwachsene Frau, die ich inzwischen bin, sondern begab mich zurück in das Jahr 1983 und schlüpfte wieder in die Rolle des Mädchens. Ich stellte die Fragen dem etwa 13-jährigen Mädchen, ließ es zu Wort kommen und erhielt überraschende Antworten, die mir einen neuen Blick auf die Sache gaben und einiges für mich ändern sollten.
„Es interessiert Deine Lehrer nicht, wie es Dir geht.“
Wie reagierst Du, was passiert, wenn Du diesen Gedanken glaubst?
Ich hasse meine Lehrer. Ich mache vor ihnen dicht, gebe nichts von mir preis. Niemals würde ich ihnen zeigen, wie es mir geht oder auf die Idee kommen, mit ihnen darüber zu reden. Ich baue Mauern um mich herum.
Ja, jetzt wo das Mädchen spricht, kann ich es deutlich spüren. Ich hatte damals die Igelstacheln weit ausgefahren. Mich anzufassen hätte weh tun können. Außerdem hatte ich mir einen dicken Schutzpanzer zugelegt. Und mit den Stacheln, dem Panzer und meiner kompletten Abwehrhaltung stellte ich jemandem, der sich vielleicht für mich interessieren wollte, echte Hindernisse in den Weg. Ah, so war das also… Das war mir damals jedoch nicht bewusst, weil ich so dicht gemacht hatte, dass ich noch nicht einmal zu mir selbst durchdringen konnte.
Wie behandelst Du Deine Lehrer, wenn Du glaubst, dass sie sich nicht dafür interessieren, wie es Dir geht?
Ich behandele sie wie ein notwendiges Übel, das ich über mich ergehen lassen muss, mit dem ich aber möglichst wenig zu tun haben will. Ich verachte sie und gehe davon aus, dass alles an ihnen liegt. Ich denke, nur sie sind schuld und müssen alles tun, damit sich die Situation ändert.
Ja, ich saß dort stumpf und gefühlslos meine Zeit ab, resigniert und in meiner Opferrolle gefangen und funktionierte mechanisch wie ein Roboter. Und nun kann sich sehen: Ich trug mit all dem definitiv auch etwas zur Sache bei.
Wenn mir das bewusst wird, wirft das ein anderes Licht auf die Situation und es kann mir helfen, den Weg zur Versöhnung zu ebnen. Als erstes aber ist es nötig, mir selbst zu vergeben und die Illusion der Idee, ich hätte es anders machen können, zu durchschauen. Es fühlte sich für mich damals nicht gut an, so stachelig zu reagieren und definitiv: Wenn ich es anders hätte machen können, hätte ich es getan. Es geht also nicht darum, mich zu verurteilen, sondern lediglich wahrzunehmen, was tatsächlich stattfand, sodass ich das ganze Bild sehen und für alle Beteiligten mehr Verständnis entwickeln kann.
Gehen wir also zur nächsten Frage: Was siehst Du nicht, wenn Du glaubst, es interessiert sie nicht, wie es Dir geht?
Ich sehe nicht, dass die Lehrer auch Angst haben und irgendwie versuchen, das Richtige zu tun. Ich kann kein Mitgefühl mit ihnen haben. In meiner Klasse gibt es zwei Sorten von Schülern. Ein großer Teil, der brav alles mitmacht und einige Wenige, die provokant rebellieren. Das höchste aller Gefühle ist, dass die Schüler die Anweisungen befolgen und gute Leistungen bringen. Aber da ist niemand, der den Lehrern warmherzig, freundlich oder dankbar begegnet. Niemand von uns interessiert sich für die Lehrer. Und oft weht ihnen ein eiskalter Wind entgegen. Ich sehe nicht, dass das auch für sie schwer sein muss.
All das sah ich damals nicht und glaubte nur, dass sie eine riesige Macht über mich hätten, als könnten sie alles über mich bestimmen, die totale Kontrolle über mich haben. Und jetzt wird mir bewusst, dass dies tatsächlich nicht so war. Wir hätten als Schüler so viel in der Hand gehabt, ergriffen aber nie die Chance. Das ist erstaunlich.
Also: Warum machte ich bei diesem Spiel mit? Weil ich glaubte mit schlechten Noten dürfe ich nicht nach Hause kommen und weil ich glaubte, gehorchen zu müssen. Ich fühlte mich abhängig und den Lehrern gab ich dafür alle Schuld.
„Es interessiert die Lehrer nicht, wie es Dir geht.“
Schließ deine Augen und atme einmal tief ein und aus.
Wer wärst Du in der gleichen Situation dort in der Schule ohne den Gedanken?
Ich würde das Verhalten der Lehrer, die Art und Weise wie sie unterrichten und mir begegnen, nicht so persönlich nehmen. Vielleicht würde ich einfach nur denken, ich sitze hier an einem langweiligen Ort. Das ändert viel. Es fühlt sich nicht mehr so emotional, erdrückend und schrecklich an. Ich könnte etwas aus meiner abwehrenden Haltung herauskommen. Vielleicht käme ich sogar auf die Idee, Fragen zu stellen, mich für etwas zu interessieren und somit aus der Langeweile auszusteigen. Ich könnte auch anfangen, mich für mich selbst zu interessieren, z.B. dafür, wie schlecht es mir mit den Matheaufgaben geht. Ja, ich könnte anfangen mich selbst wahrzunehmen und nach Lösungen zu suchen.
Das ist es, was mir damals gut getan hätte: Interesse an mir selbst und Selbstfürsorge! Und gleichzeitig hätte es sich auch besser angefühlt, mich ebenso für die Lehrer zu interessieren. Mit dem Gedanken, dass sie sich nicht für mich interessieren, erschienen sie mir als Monster. Wie es einem Monster geht, dafür interessiert man sich in der Regel nicht, man will sich nur vor ihm schützen. Aber wie fühlt sich dann das Monster? Ohne den Gedanken, dass sie sich nicht für mich interessieren, wäre Raum gewesen, sie als Menschen mit ihrer Geschichte wahrzunehmen. Ich hätte mir vorstellen können, dass sie auch mal Kinder waren.
Kommen wir nun zum zweiten Gedanken. „Die Lehrer fordern nur von mir.“
Diesen Gedanken untersuchte ich speziell in Bezug auf meine Mathelehrerin und wieder antwortete das 13- jährige Mädchen.
Wie reagierst Du, was passiert, wenn Du glaubst, sie fordert nur von Dir?
Ich sehe sie als eine völlig bescheuerte Frau, die nichts anderes tut, als von uns zu fordern. Ich ächze und stöhne innerlich, aber zeigen und artikulieren tu ich das nicht. Ich bin nicht in der Lage zu sagen: „Moment mal, das geht mir hier zu schnell.“ Die Möglichkeit, zu widersprechen, sehe ich gar nicht und quäle mich.
Ich kann auch nicht sehen, dass es nicht die Mathelehrerin als einzelne Person ist, die fordert, sondern das Schulsystem. Ich übertrage meinen gesamten Frust auf sie und glaube, sie allein könne daran etwas ändern.
Der Gedanke, dass sie ständig fordert, macht mir im Übrigen das Mathelernen noch schwerer.
„Sie fordert nur von Dir.“
Wer wärst Du in der gleichen Situation ohne den Gedanken?
Ohne den Gedanken würde es mir leichter fallen zu sagen: „Puh, anstrengend! Ich glaub ich kapier das hier alles nicht!“
Bei der Vorstellung, dass ich das laut gesagt hätte, muss ich lachen. Das fühlt sich so befreiend an! Ja, ohne den Gedanken, dass sie nur von mir fordert, hätte ich aus meiner Sprachlosigkeit herauskommen und mich authentisch zeigen können. Mir ist es damals nie in den Sinn gekommen, um Hilfe zu bitten. Ich kann mich auch nicht entsinnen, dass irgendjemand aus unserer Klasse so etwas gemacht hätte. Wir ließen einfach alles über uns ergehen. Und wenn Widerstand geleistet wurde, dann nur auf provozierende, destruktive Weise, was sich auch nicht als hilfreich erwies.
Also schauen wir noch mal genau hin: Wer hat da unglaublich viel von mir gefordert?
Ich selbst war das. Ich habe immer gute Noten von mir erwartet und dass ich alles kapieren muss. Ich forderte von mir, dass ich stillschweigend funktionierte.
Und umgedreht: Ich selbst forderte von meiner Mathelehrerin Innerlich die ganze Zeit etwas. Komplett anders wollte ich sie haben! Und das, was ich von ihr forderte - nämlich Fröhlichkeit, Lebendigkeit, Entgegenkommen, Mitgefühl, Achtsamkeit – das gab ich weder ihr noch mir selbst.
Wenn ich all das sehe, befinde ich mich plötzlich mit ihr auf einer Ebene. Wir stehen als Menschen nebeneinander. Es ist, als wenn aus einem aufgeblasenen Ballon die Luft entweicht. Die Spannung ist raus.
Mich von der Angst vor schlechten Noten meines Sohnes zu lösen und mit seinen Lehrern in Frieden zu kommen, war die eine Sache. Aber als ich mir meine Gedanken über meine eigenen Lehrer anschaute, fühlte es sich plötzlich an, als würde ich meine Geschichte umschreiben. Groll, den wir aus der Vergangenheit mit uns herumschleppen, und der Gedanke, dass etwas falsch gelaufen sei oder jemand sich hätte anders verhalten sollen, sind immer eine Last. Diese Last fiel von mir ab, denn nun konnte ich sehen, dass ich mit meinen Gedanken ganz klar meine Realität miterschaffen hatte. Durch die Fragen von The Work lösten sich meine beurteilenden Gedanken auf und das verändert nachträglich meine Vergangenheit. Es fühlt sich viel leichter an und lässt sich wohl am ehesten mit dem Wort Frieden
beschreiben.
Ein Zitat von Byron Katie, der Begründerin von The Work, lautet: „Das Schlimmste, was jemals geschehen ist, ist ein nicht hinterfragter Gedanke.“
Ist damit nun alles gut? Es ist ein Weg, denn auch heute noch ertappe ich mich immer wieder mal dabei, im Leistungsdenken zu sein und mir die Messlatte selbst hochzuhängen. In unserer Welt ist es weit verbreitet zu glauben, dass wir irgendetwas erreichen müssen. Glaubensmuster und Konditionierungen, die über viele Jahre geprägt wurden, hinterlassen Spuren. Das zeigt sich jedes Mal, wenn ich mich mit anderen vergleiche oder antreibe. Wo mache ich mir selbst noch Druck? Das darf ich mich fragen und die Konditionierung Stück für Stück auflösen, mich für mich selbst interessieren, statt nur von mir zu fordern.